9) Jersey/Chris/Gabe

Gegangen?
Das klang so... freiwillig...
Er seufzte leise.
"Offiziell hat mich mein Vater rausgeschmissen. Aber inoffiziell wäre ich vermutlich sowieso bald abgehauen... wir sind nicht klar gekommen. Gar nicht. Und Freunde hatte ich ehrlich gesagt nicht, also bin ich auf der Straße gelandet. Anfangs wars ganz spannend aber irgendwann checkt man halt, dass es verdammt ernst ist... aber dann ist es zu spät."
"Maia hab ich kennen gelernt weil... naja ich hatte Scheiße gebaut und musste vor Gericht. Sie wurde mir als Sozialarbeiterin zugeteilt. Und sie hat es sich eben zum Ziel gemacht mich nicht nur heile aus diesem Prozess zu bekommen, sondern auch noch mein Leben ein bisschen umzukrempeln. Dafür bin ich ihr heute derammt dankbar!"

Inoffiziell wäre er bald abgehauen... Und Freund hatte er auch keine...
Auf der Straße leben... Gabriel konnte sich ungefähr vorstellen wie das lief.
Er wusste wie einsam man sich fühlen konnte.
Sacht nahm Gabriel Lynns viel größere Hand und spielte mit den langen Fingern herum.
"Ohne dich wäre ich da auch gelandet...", überlegte er schließlich leise, und im selben Moment ging ihm auf, dass es stimmte.
Ohne Lynn wäre er wirklich auf der Straße gelandet...
Mit der Zeit war es immer schwieriger geworden das Kindergeld das er bekam vor seinem Vater zu verstecken.
"Warum... musstest du vor Gericht...?"

"Deswegen hab ich dich ja auch adoptiert", grinste Lynn und beobachtete, wie Garbiel mit seiner Hand herumhantierte.

"Ich hab... ein paar sehr bescheuerte Sachen gemacht", antwortete er dann.
"Einbruch, Raub, Körperverletzung, Drogenbesitz, Beamtenbeleidigung, Erregung öffentlichen Ärgernisses... da hatte sich einiges angesammelt..."

"Körperverletzung und Drogenbesitz?", hakte Gabriel nach und ließ Lynns Hand für einen Moment in Ruhe.
Alles andere konnte er sich noch irgendwie erklären...
Einbruch und Raub und Beamtenbeleidigung und Erregung öffentlichen Ärgernisses.
Das schien alles zusammenzuhängen.
Wenn Gabriel genau nachdachte konnte er sich im Zusammenhang mit dem Alkohol auch die Körperverletzung vorstellen, aber Drogenbesitz?
"Hast du auch Drogen genommen?", fragte er verblüfft.

"Ich bin nicht besonders stolz darauf", antwortete Lynn leise und wich Gabriels Blick aus.
"Aber... irgendwie... war es einfacher... Es ist... leichter draußen zu leben, wenn du... nichts davon mitbekommst..."
Er schwieg einen Moment, ließ seinen Blick durch das Zimmer gleiten, dann seufzte er kurz.
"Es war aber nicht... nicht viel und... nichts hartes... ich war nie wirklich süchtig."

Gabriel hatte sicherlich nichteinmal einen Bruchteil dessen erlebt was Lynn hinter sich hatte, aber dennoch konnte er absolut nachempfiden wovon Lynn sprach.
Was er damit meinte, dass es einfacher war nichts davon mitzubekommen.
Lynn wich seinem Blick aus...
Und Gabriel spürte, wie sehr Lynn das alles belastete, und wie schwer es ihm fiel darüber zu sprechen.
Unwillkürlich kamen ihm die Tränen.
Trotzdem konnte er den Blick nicht abwenden.
"Lynn...", wisperte er und schniefte leise.
"Du bist der tollste Mensch den ich kenne..."

"Danke", flüsterte Lynn und beugte sich zu Gabriel herunter um ihn auf die Stirn zu küssen.
"Ich wünschte, ich könnte deine Gefühle erwiedern", flüsterte er und drückte Gabriel an sich.
"Aber... ich hoffe, dass du auch so bei mir bleibst... das... tust du, oder?"

Verlegen wischte sich Gabriel die Tränen ab, als sich Lynn zu ihm herunterbeugte.
Doch die nächsten Worte trafen präzise wie ein Schuss, mitten ins Herz.
Gabriels Schluchzen erklang nur gedämpft, da er das Gesicht gegen Lynns Bauch presste, und er anschließend die Luft anhielt, bis das schlimme Gefühl etwas abgeebbt war.
Trotzdem dauerte es noch einen weiteren Augenblick, bis Gabriel antworten konnte.
Kläglich sah er Lynn in die Augen.
"Ja... ", wisperte er.
"Bis du dich in jemanden verliebst."

"Ich verliebe mich nicht Gabriel!", widerholte Lynn ruhig.
"Ich war nie verliebt und ich hab es auch nicht vor. Ich mag Menschen nicht und ich werde vermutlich auch nicht mal eben so jemanden kennen lernen für den ich plötzlich mein ganzes Leben aufgebe! Es ist schon... sehr ungewöhnlich für mich, dass ich dich so nah an mich ran lass... emotional... aber... ich bin froh, dass ich dic hab."

Und wieder stach es in Gabriels Brust.
Er wusste was Lynn damit sagen wollte, aber...
Für ihn fühlte es sich an wie eine Abfuhr nach der anderen.
Lynn bedauerte, dass er seine Gefühle nicht erwidern konnte, er mochte keine Menschen, er hatte garnicht vor sich zu verlieben...
Inzwischen fand Gabriel diese ganze Sache mit der Liebe ziemlich scheiße.
Er hätte nie gedacht, dass er sich jemals verlieben würde... in einen Mann sogar. Obwohl sich Frauen genauso abwegig anfühlten.
Er hatte sich in einen Lynn verliebt.
Das hätte er niemals gedacht.
Aber er hatte auch noch niemals vorher einen Lynn kennengelernt.
"Das ist beschissen... diese ganze Sache. Ich will nicht verliebt sein!", beschwerte sich Gabriel verzagt und zuckte selbst zusammen, als er das Schimpfwort benutzte.
"Manchmal will ich meine Seifenblase zurück...", flüsterte er.
Seit die Seifenblase weg war, brauchte es nurnoch einfache Worte um ihm wehzutun.

"Deine Seifenblase?", fragte Lynn irritiert.
Er konnte ja verstehen, dass es Gabriel schieße ging aber...
Was sollte er tun?
Er konnte dem Kleinen doch nicht helfen...
Er konnte ihm doch nicht einfach Gefühle vorspielen, die nicht da waren...

"Meine Seifenblase...", bestätigte Gabriel leise und versuchte ein kleines Lächeln.
"Da wo ich vorher gelebt hab... bevor ich dich kennengelernt hab und bevor Jersey zurückgekommen ist... In diesen Jahren ist nichts passiert... oder vielleicht ist etwas passiert, aber ich erinnere mich nicht dran. Ich hab alles ausgeblendet. Und das was die in der Schule erzählt haben, wie sie sich verhalten haben, das hab ich garnicht so mitbekommen und es hat mich nicht verletzt. Mich hat nichts verletzt. Aber jetzt ist die Seifenblase weg... und jetzt tut es weh..."