3) Jersey/Chris

Wütend legte Jersey auf und steckte das Handy in seine Hosentasche.
Gabriel ging ihm wirklich auf die Nerven!
Nein...
Nein, sein Verhalten ging ihm auf die Nerven!
Seit Wochen gab es nur noch ein Thema:
Lynn!
Lynn!
Lynn, Lynn, Lynn!
Tag ein Tag aus!
Gabriel ließ sich nicht merh bei Jersey blicken, sie gingen nicht merh zusammen weg, nichtmal Kaffee trinken!
Gabriel sprach nicht mehr mit ihm über seine Probleme, über das, was ihn beschäftigte, über Dinge, die ihn freuten...
Sie sprachen überhaupt kaum noch und wenn, dann über belanglose Dinge wie Schule!
Jersey hätte ja damit leben können, wenn Gabriel ihn durch Lynn ersetzte, aber was ihn ankotzte, war die Tatsache, dass Gabe es nichtmal zugeben wollte!

Frustriert und mehr als scheiße gelaunt kehrte Jersey zurück zu den Anderen, trank noch einige Cocktails und als seine Gruppe noch in einen anderen Club weiter zog, setzte er sich an die Bar um weiter zu trinken.
Gabe konnte ihn mal... und das würde er ihm auch gleich am nächsten Morgen in der Schule sagen!

Chris saß an der Bar.
Ganz entgegen seiner Gewohnheit.
Und ganz entgegen seiner Gewohnheit hatte er beschlossen, dass er sich besaufen und irgendeinen Kerl abschleppen würde.
Das war vor ein paar Stunden gewesen.
Schnell hatte er festgestellt, dass ihm die Lust verging, sobald ihn jemand anmachte. Er kam sich dreckig vor, und ziemlich erbärmlich, und dieses Gefühl konnte er nichteinmal wegsaufen.
Überhaupt lief alles scheiße, denn selbst das Betrinken wollte nicht so recht funktionieren.
Und das alles wäre überhaupt nicht passiert, wenn Jan nicht endlich die Wahrheit gesagt hätte.
Ihre Beziehung war langweilig geworden, er hatte keine Lust mehr auf Chris, er wollte wieder frei sein, und eigentlich hatte er auch schon seit ein paar Wochen andere.
Viele andere.
Wie gesagt, er wollte wieder frei sein.
Und Chris WAR jetzt wieder frei.
Und er konnte es nichteinmal genießen.
Klar, er liebte seinen Job... Aber viel Zeit für Freunde war ihm nicht geblieben und den Rest hatte Jan in Anspruch genommen.
Nur die engsten Freunde waren ihm trotzdem treu geblieben, aber bevor er ihnen erzählen würde, was passiert war, wollte er sich besaufen und jemanden abschleppen!
Nur, damit sie ihn nicht davon abhielten genau das zutun.
Womit Chris wieder am Anfang war, denn genau das war garnicht nötig, er hielt sich irgendwie selbst davon ab.
Ächzend ließ Chris den Kopf auf die Bar sinken.
Selbst sein Gedankenchaos konnte der Alkohol nicht verhindern, nur verlangsamen.
Wäre er bloß zuhause geblieben... zum Saufen hätte er die Wohnung nicht extra verlassen müssen...
"Gib mir ma was besseres, mann...", meckerte er schließlich und hielt dem Barkeeper sein leeres Glas hin.
Er hatte so richtig Lust, sich danebenzubenehmen.
Erst jetzt nahm er wahr, dass sich jemand neben ihn gesetzt hatte.
Also... jemand anders als vorher.
Jemand ansehliches... und jemand, der vielleicht ein bisschen zu jung für diese Bar war.
"Hi", brummte Chris, und strafte das Getränk des Kleinen mit einem skeptischen Blick.
Es war schrecklich bunt... und es hatte ein Schirmchen!
"Verdammt! Wieso bekommen immer nur die anderen die Schirmchen!", schimpfte Chris vor sich hin, ohne dass ihm bewusst war, dass er es laut dachte.

Jersey drehte sich seeehr langsam um und munsterte sein rumpöbelndes Gegenüber skeptisch.
Was für ein bemitleidenswerter Arsch...
"Möchtest du auch ein Schrimchen, Kleines?", fragte er gütig, zog das Schimchen (es glitzerte!) aus seinem Cocktail, leckte den Rest der Flüssigketi ab und schob es dem bemitleidenswerten (aber zugegebenermaßen ziemlich gutaussehenden) Arschloch hinter das Ohr.
"Hübsch siehst du aus", lobte er anerkennend und nahm einen Schluck seines Drinks.

Mit großen Augen sah Chris den anderen an.
"Wow... danke!", hauchte er etwas beeindruckt, und ließ das leere Glas los, als der Barkeeper daran zog.
"Dein Getränk sieht aus wie Einhornscheiße... schmeckt das gut?", fragte er dann skeptisch und sah sich den Drink genauer an.

"Es schmeckt wie Einhornscheiße", erklärte Jersey und schob ihm das Glas zu.
"Wobei die Einhornscheiße bei mir zu Hause im Wattewolkenland gleich hinter dem Glücksbärchiregenmogen besser schmeckt. Das Zeug hier ist nur Instanteinhornscheiße, angerührt mit Zuckerwattesirup."
Oh Gott, er war ja so bekloppt, wenn er getrunken hatte...

Misstrauisch nahm Chris einen Schluck und verzog das Gesicht.
"Das erklärt einiges...", bestätigte er leidend und trank etwas aus seinem eigenen Glas nach.
"Gibts das auch in lila?"
Wenn man ihn genauer ansah, war der Kleine wirklich süß...
Er hätte schon Lust, dieses Exemplar abzuschleppen, wobei der beim zweiten Gedanken etwas zu schade fürs simple Abschleppen wirkte.
Außerdem war er sowieso zu jung...
Wahrscheinlich.
Und irgendwie hatte Chris so garkeine Lust jetzt irgendwelche dummen Anmachsprüche aus seinem inneren Papierkorb zu kramen.
Da schienen hier viele drauf abzufahren.
Chris nicht.
"Siebenundvierzig...", murmelte er nur, und machte den Mann von sich ab, als ihm jemand den Arm um die Schulter legte und ihm ein "Hey, Süßer... soll ich dich aufmuntern?" ins Ohr raunte.
Ein paar Sekunden lang blieb der Kerl stehen, bis es ihm scheinbar zu blöd wurde ignoriert zu werden.
"Kann ich nochmal?", fragte Chris schließlich wieder den Kleinen und deutete auf die Einhornscheiße.
"Chris"

"Nein, Einhornscheiße", antwortete Jersey und schob Chris sien Glas hin.
"Jersey", stellte er sich dann Chris' Getränk vor und nahm einen großen Schluck davon.

Jersey also...
Chris nahm ebenfalls einen großen Schluck aus Jerseys Glas.
Das Getränk war wirklich seltsam.
Es schmeckte so scheiße, dass das Gehirn es nicht glauben konnte, sodass man immer wieder probieren musste um sich zu vergewissern, dass es WIRKLICH so scheiße schmeckte.
Nachdenklich schluckte Chris und sah das Glas an, dann den anderen.
Er hatte keine Lust auf flirten.
Und er war betrunken genug, es einfach zu versuchen.
Gnädig wartete er, bis Jersey geschluckt hatte, dann legte er ihm einen Arm um die Schulter, zog ihn mit sanftem Nachdruck an sich und küsste ihn verlangend.

Jersey wäre vor Schreck beinahe vom Hocker gekippt, als der Regenbogenarsch ihn plötzlich an sich zog und ihn küsste.
Generell hatte Jersey ja nichts dagegen geküsst zu werden, auch nicht von Fremden und in der Öffentlichkeit, aber bisher hatten alle die Freundlichkeit besessen ihn vorher zu fragen...
Scheiß drauf!
Jersey erwiderte den Kuss leidenschaftlich und fragte sich gleichzeitig was er da gerade abartiges getrunken hatte. Es hatte zum Kotzen geschmeckt...

Innerlich machte sich Chris ein Häkchen, für das erste gute Ereignis dieses Tages, als Jersey den Kuss erwiderte.
Und wie er das tat... Chris musste sich eingestehen, dass es ihm mit Jan wohl auch langweilig geworden war.
Kurzerhand zog er sich den kleinen auf den Schoß.
Mit einer Hand hielt er Jersey fest, die andere schob er unter sein Shirt.
Der Kleine war ziemlich dünn... aber küssen konnte er.
Und plötzlich fand Chris diese ganze Onenightstandsache garnicht mehr so schlimm, plötzlich machte es ihm nichteinmal etwas aus, den anderen mit in seine Wohnung zu nehmen.
Jersey hatte nichts dagegen... und schon bald darauf wälzten sie sich in seinen Laken. Chris ließ sich völlig fallen, nahm sich Zeit den Körper des anderen zu erforschen.
Wenigstens schien Jersey genug Erfahrung zu haben, was sich spätestens zeigte, als Chris etwas unvorsichtig in ihn eindrang.
Der Sex war wild, und schnell, aber Chris konnte es nicht lassen Jersey zärtlich zu küssen, das Tempo etwas zu verlangsamen, als sie ihrem gemeinsame Höhepunkt entgegensteuerten, doch lange konnte er sie beide nicht hinhalten.
Außer Atem und verschwitzt ließ er sich schließlich aus Jerse gleiten, entsorgte das Kondom, und zog den Kleinen in seine Arme.
So langsam verlor der Alkohol an Wirkung, und Chris bekam ein winzigkleines schlechtes Gewissen.
Nicht, dass Jersey irgendwie abgeneigt schien...
Aber er wirkte so zerbrechlich... und irgendwie hilflos.
"Alles okay...?", fragte Chris, und kam nicht umhin etwas besorgt zu klingen.
Sanft streichelte er Jerseys Rücken, genoß die Entspannung, die sich in ihm breitmachte, und küsste ihn auf die Stirn.

Was sich in Jersey angesichts der Zärtlichkeit des anderen breit machte, war alles andere, als Entspannung.
Er konnte nicht sagen, wo dieses Gefühl plötzlich her kam aber...
Er fühlte sich wie ein Stück scheiße...
Schlechter als ein Stück Scheiße!
Am libesten würde er seinen Scheißkörper einfach hie rliegen lassen und weglaufen... weit weit weg...
Was ohne Beine jedoch irgendwie schwierig werden könnte...
Er hasste sich so sehr für das, was aus ihm gewroden war...
Vielleicht wollte Garbiel deswegen nichts mehr mit ihm zu tun haben?
Vielleicht war er in Gabes Augen nur eine billige Schlampe?
Und hatte er damit nicht auch irgendwie recht?
Ohne dass er etwas dagegen hätte tun können begann sein Oberkörper leicht zu beben und Tränen sammelten sich in seinen Augen, die er vor den Blicken des Fremden verbarg.

Erschrocken zuckte Chris zusammen, als Jersey das Gesicht verbarg und sein Oberkörper zu beben begann.
Innerlich fluchte Chris und warf sich schwere, harte Dinge an den Kopf, äußerlich ließ er sich das fast nicht anmerken.
War er zu grob gewesen? Hatte der Kleine Liebeskummer? War es doch sein erstes Mal gewesen?
"Hey...", murmelte er besorgt und strich Jersey die Haare aus dem Gesicht.
"Hey was ist los...?"
Vorsichtig zog Chris die Decke über sie und nahm Jersey tröstend in den Arm.
"Nicht weinen kleiner...", murmelte Chris.
Er konnte es einfach nicht mit ansehen, wenn jemand traurig war...

"Lass mich!", fauchte Jersey und drückte den Fremden so weit es ging von sich weg.
Er wandte sich ab, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und rutschte aus dem Bett um seine im Zimmer verstreuten Klamotten zu suchen.

Auch Chris sprang auf, und zog sich seine Boxershorts über.
Er würde den kleinen so bestimmt nicht einfach durch Köln laufen lassen, um diese Uhrzeit.
Nur kam er sich etwas lächerlich vor, wenn er ihm ganz nackt gegenüber stand.
Einen Moment sah er Jersey dabei zu, wie er seine Klamotten zusammensuchte, dann hielt er ihn sanft am Arm fest und sah ihn an.
"Ist okay", sagte er.
"Möchtest du einen Tee? Oder eine heiße Schokolade? Und eine kuschelige Decke? ... Komm her..."
Wieder zog er Jersey an sich, nahm ihn einfach nur in den Arm.
Er wirkte, als wäre er kurz davor einfach zusammenzubrechen, und Chris würde vieles tun, aber er würde Jersey so nicht gehen lassen.

Anfangs versuchte Jersey sich gegen den größeren zu wehren, doch dann ließ er sich gegen Chris' Körper sinken und schluchzte laut auf.
Er klammerte sich haltsuchend an den Oberkörper des anderen und drückte sein Gesicht fest gegen die warme Brust.

Und da war es...
Beruhigend strich Chris dem Kleinen über den Rücken, hielt ihn tröstend fest.
Erst, als sich Jersey nach einer Weile ein wenig beruhigt hatte, schob Chris ihn sanft ins Wohnzimmer, wickelte ihn in eine Kuscheldecke und kochte ihm einen Tee.
Dann setzte er sich wieder zu Jersey und nahm ihn in den Arm.
"Was ist los...?", fragte er leise.
Inzwischen war ihm klar, dass Jerseys Zustand nichts mit ihm zutun hatte.

Jersey kauterte sich so eng zusammen, wie er nur konnte und starrte finster an die gegenüberliegende Wand.
"Ich bin scheiße", flüsterte er nach einer Weile leise.
Das sollte genügen...

Stumm sah Chris den Kleinen an.
Scheinbar hatte er ziemlich große Probleme mit sich selbst.
"Warum...?", fragte er vorsichtig.
Die Situation war seltsam, wenn man genau darüber nachdachte.
Schließlich war der Kleine eigentlich ein Fremder, aber er war süß... und er hatte etwas an sich... Chris konnte es nicht beschreiben, aber er wollte Jersey unheimlich gern helfen.
"Warum denkst du das über dich...?"
Noch immer strich er sanft über Jerseys Rücken.

Jersey schnaubte leise, dann zuckte er mit den Schultern und legte das Kinn auf die Knie.
"Keine Ahnung", nuschelte er.
Das war gelogen.
Er wusste sehr wohl, warum er scheiße war, aber das ging diesen Arsch nichts an!
Dass er nur eine miese, billige Schlampe war, die sich von jedem flachlegen ließ, hatte der Gute sicher auch schon mitbekommen.
"Du musst ganz schön frustriert sein", murmelte er dann irgendwann, beinahe ein wenig angriffslustig.

"Keine Ahnung...?", murmelte Chris etwas skeptisch vor sich hin und wuschelte Jersey sanft durch die Haare.
"Hör mal... ich kann nicht beurteilen wer oder wie du bist, aber sowas sollte niemand von sich denken... Und du siehst ziemlich fertig aus... Hast du keinen Freund, der dir sagt wie süß du bist?"
Chris hatte keine Ahnung was er da redete, aber auch wenn Jersey jetzt versuchte so zutun als wäre nichts, man brach nicht einfach so heulend in der Wohung eines Fremden zusammen...
"Du musst ganz schön frustriert sein", holte Jersey dann scheinbar zum Gegenschlag (gegen was eigentlich?) aus, und Chris konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen.
"Ja, muss ich wohl...", bestätigte er.
"Und du musst ganz schön unglücklich sein", murmelte er dann mitfühlend.

"Nein, ich hab keinen Freund, der mir sagt wie süß ich bin", zischte Jersey giftig.
"Ich hab nicht mal einen besten Freund, der überhaupt irgendwas zu mir sagt! Dafür hab ich etwa fünf Dutzend sexsüchtige Vllidioten, die mir sagen, dass ich n geilen Arsch hab. Wow, da kann ich mir was drauf einbilden - toll oder?"
"Und ja, ich bin unglücklich, da hast du wohl voll ins Schwarze getroffen, Glückwunsch. Willst du jetz n Keks?"
Jersey war klar, dass sein Sarkasmus unangebracht war, aber irgendwie musste er sich slebst von seiner Verletztheit ablenken.

Über die Giftigkeit des kleinen konnte Chris nur zu gut hinweg sehen.
Scheinbar teilte er lieber aus, wenn er unsicher war, was Chris durchaus verstehen konnte.
"Warum spricht er denn nicht mit dir? Habt ihr euch gestritten?", griff er das Thema heraus, das den Kern des Problems zu bilden schien.
"Hm... n Keks wär ganz nett, ja... möchtest du gern Schokokekse zu deinem Tee?", murmelte er dann und lächelte leicht.

"Ja!", antwortete Jersey schmollend auf die Frage mit dem Keks.
Dann zog er die Knie enger an seinen Oberkörper und schaute wieder Grimmig in die Gegend.
"Nein, wir haben uns nicht gestritten", antwortete er bemüht ruhig.
"Wahrscheinlich bin ich ihm dazu nicht mehr wichtig genug, er hat ja jetzt Lynn!"
Lynns Namen spuckte er beinahe hasserfüllt aus und fühlte sich gleich wieder so minderwertig und gemein.
Er mochte Lynn doch eigentlich...

Grinsend stand Chris auf um eine Packung Schokokekse zu holen, die er Jersey in den Schoß legte.
"Wer ist Lynn? Sein neuer bester Freund? Oder sein neuer fester Freund?", fragte er und hatte irgendwie das Gefühl, dass sie der Sache etwas näher kamen.
"Lässt er dich wegen ihm sitzen...?"

"Lynn ist Gott", brachte Jersey Gabriels Rumgehimmele und Rumgesabbere auf den Punkt.
"Zumindest für Gabe", erklärte er dann jedoch sicherheitshalber.
"Er würde ihm am liebsten in den Arsch kriechen und sich da häuslich einrichten, wenn er reinpassen würde"
Ok, das war unfair...
Aber wahr!
"Seit Lynn bin ich nummer vierzehn oder fünfzehn hinter 13 1/2 Lynns!"