5) Jersey/Chris

"Ich bin Werbegrafiker... Und ich bastle gerne, oder mach Musik. Freunde hab ich auch, ja, einige weniger, aber dafür sehr gute. Und meine Hobbies mach ich halt größtenteils hier zuhause, wie gesagt... Mit meinen Freunden treff ich mich meistens mal auf nen Abend bei einem von uns, oder wir gehen zusammen ins Kino. Feiern weniger. Ich koch manchmal ganz gern... "
Chris musste ein bisschen schmunzeln.
Der Kleine war wirklich niedlich.
Wenn man genau darüber nachdachte war die Situation schon wieder sehr seltsam.
Sie schmusten hier als wären sie die dicksten Freunde, oder gar ein Paar!
Dabei kannten sie sich eigentlich garnicht...

"Du bist toll", murmelte Jersey lächelnd und drückte sein Gesicht gegen Chris' Brust.
"Kochst du mir mal was?", wollte er dann wissen.
"Und was für Musik machst du? Spielst du Instrumente? Welche? Ich mag Musik, ich hab Musik-LK, aber eigentlich will ich gar nichts mit Musik machen später... und mit Englisch auch nichts, meine LKs sind eigentlich total fürn Arsch... aber irgendwas musste ich ja nehmen...", blubberte er dann vor sich hin, während er Chris' gleichmäßigem Herzschlag lauschte.

Er war toll?
"Womit hab ich denn das verdient?", murmelte Chris schmunzelnd und wuschelte dem Kleinen durch die Haare.
"Wenn du magst können wir mal zusammen was kochen...", schlug er dann leise brummelnd vor, und versuchte sich die ganzen Fragen zu merken.
"Was für Musik? Eigentlich meistens die, die mir gefällt... verschiedene Richtungen, je nach Gelegenheit halt. Wenn wir im Sommer grillen gibts Lagerfeuermusik, wenn ich hier spiele, dann spiel ich auch manchmal aktuellere Lieder, oder auf dem Didgeridoo und den Trommeln, aber dann beschweren sich meistens die Nachbarn..."
Nachdenklich schwieg er einen Moment.
"Ich hatte Kunst und Spanisch als Lk's... Kunst kann ich jetzt gebrauchen, aber Spanisch ist eher eigenes Interesse. Und vielleicht machst du ja später doch was mit Musik, und wenns nur für dich ist... Außerdem lernt man die wirklich wichtigen Dinge meistens sowieso außerhalb der Schule. Die Noten brauchst du bloß um dich zu bewerben..."

"Da wo ich hin will brauch ich keine Noten", murmelte Jersey müde.
"Da brauch ich nichtmal Abi, aber meine Eltern zwingen mich. Ich hab Englisch gewählt, weil ichs kann und nichts dafür tun muss und Musik, weil... ichs kann und nichts dafür tun muss..."
Er stutzte einen Moment.
"Schule is echt fürn Arsch!", beschloss er dann.
"In Amerika hatten wir wenigstens Kreatives Schrieben und Schauspiel und so Sachen aber hier... nichts von dem Scheiß brauch ich später mal! Nichtmal das, was wir in Musik machen! Allgemeinbildung kann mich mal, mich interesisert der Fuck nicht!"

"Du musst es trotzdem tun... ist frustrierend, aber ist nunmal so. Wahrscheinlich ist das eigentlich das was man in der Schule lernt... Aber da muss jeder durch. Und mit den richtigen Freunden kanns auch ne echt schöne Zeit sein...", murmelte Chris müde.
Er konnte ja verstehen, dass sich der Zwerg so aufregte, er selbst hatte sich früher oft genug darüber die Haare gerauft. Aber er hatte am Ende bekommen was er wollte. Ein gutes Abi und eine Ausbildung für einen Beruf der ihm Spaß machte.
"Die Hauptsache ist, dass du später Spaß hast an deinem Beruf... Und wenn wir mal zusammen kochen, dann erweitern wir deine Allgemeinbildung wenigstens auf eine Nützliche Art, hm?"

Jersey brummte wieder.
"In Amerika war die Schul cool... hier ist sie scheiße... ich kenn kein Schwein und irgendwie redet keiner mit mir, wenn ich bei Gabe bin... die sind alle so dumm... Gabe ist toll er ist nur eben anders... und für den Fuck mit dem Scheiß, den sie rumerzählen kann er doch nichts... ich will nicht mehr in die Schule... ich glaub ich brech ab...", murmelte er
"Ich brauch kein Abi... ich will nich studieren... ich wüsste gar nich was... und gut wirds eh nich..."
Er brummelte noch ein wenig, dann drehte er sich um und kuschelte sich mit dem Rücken an Chris.
"Ich kann kochen", antwortete er dann ein wenig trotzig.
"Sonst wär ich längst verhungert."

"Der Fuck mit dem Scheiß den sie rumerzählen? Was soll das denn bedeuten...", fragte Chris irritiert und wurde aus Jerseys Ausdrucksweise nicht wirklich schlau.
"Wird er gemobbt?", fragte er dann stirnrunzelnd nach.
"Aber weißt du... dann ist er sicher umso mehr froh, dass er dich hat. Und zu zweit ist es sicher nicht ganz so schlimm wie allein... unter den Umständen würde ich mit den anderen auch garnicht befreundet sein wollen, glaub ich...", überlegte er.
Dann seufte Chris leise.
"Jersey... mit Abitur hast du einfach die größten Chancen das zu machen was du möchtest. Was würdest du denn machen, wenn du jetzt sofort mit der Schule aufhörst?" Jersey war eben doch noch ein Kind... das merkte man gerade bei diesem Thema sehr.
"Ich hab auch garnicht gesagt dass du nicht kochen kannst", lächelte Chris dann und pustete gegen Jerseys Haare, da sie ihn kitzelten.
"Aber wir könnten uns kulturell lehrreiche Gerichte aussuchen", grinste er.

"Ich weiß es nicht genau, er ist nicht direkt geworden... auf jeden Fall kann ihn keiner ab und sie ignorieren ihn irgendwie... ich will mit keinem davon befreundet sein, ganz bestimmt nicht aber... wieso gibts in meinem ganzen fucking Jahrgang nur hirnlose Wichser? Und ich sagte doch, ich brauch kein Abi! Ich würde wieder nach Manhattan ziehen und an die Juilliard gehen, so wie ich das schon seit etwa fünfzehn Jahren vor hab! Was will ich denn mit dem scheiß Abi? Ich hab kein Bock auf ne Ausbildung und Studieren will ich auch nich, ich brauch den ganzen Müll nicht!", regte sich Jersey verärgert auf.
Er konnte die ganze "Du brauchst das Abi um eine Grundlage zu haben"-Scheiße nicht mehr hören!
Weder von seinen Eltern noch von seinen Lehrern und vor allem nicht von Chris!

Dann zog er die Augenbraue hoch.
"Kulturell lehrreiche Gerichte? Bist du immer so neunmalklug?"

"Was ist, wenn du dich verletzt? Wenn du das nicht mehr machen kannst?", überlegte Chris laut, beschloss dann aber das Thema ruhen zu lassen.
Er hatte keine Lust sich mit Jersey wegen soetwas zus treiten.
Im Endeffekt war es Jerseys Leben und er würde selbst noch früh genug seine eigenen Erfahrungen in dieser Hinsicht machen.
Da war sich Chris ziemlich sicher.
"Das war ein Scherz, Kleiner...",grinste er dann kopfschüttelnd.
"Was ist mit deinem Freund? Will er Abitur machen?"

"Ich bin nicht bescheuert und schmeiß mein Leben weg, glaub mir", widersprach Jersey. "Ich hab meine Alternativen und für keine davon brauch ich Abitur!"
"Und was Gabe machen will weiß ich nicht, wahrscheinlich macht er nur Abitur, dass er aufgehoben ist."

"Dass er aufgehoben ist? Wie meinst du das?"
So langsam konnte sich Chris nicht mehr wirklich konzentrieren.
Ein kurzer Blick auf seinen Wecke verrriet ihm, dass es schon beinahe auf fünf Uhr morgens zuging.
"Wir sollten langsam schlafen...", gähnte er und kuschelte sich etwas zurecht.
"Du musst doch morgen fit sein..."

"Naja... ich kann mir nicht vorstellen, dass er ernsthafte Ziele hat... aber das ist nur eine Einschätzung, wir haben über sowas nicht geredet...". erklärte Jersey, legte sich ebenfalls bequemer hin und seufzte leise.
"Wofür muss ich fit sein?", fragte er dann alamiert.

"Hm... so wie du ihn beschreibst ist er wohl ein ziemlicher Tagträumer... bleibt ihm vielleicht auch nichts anderes übrig, wenn seine Familie so scheiße ist und er keine Freunde hat. Wer kümmert sich denn eigentlich um ihn? Und fit musst du sein um zu ihm zu gehen und mit ihm zu reden...", erklärte Chris und grinste.
Scheinbar hatte Jersey Panik, dass er ihn doch in Schätzungsweise drei Stunden zur Schule schicken würde...

"Ach so...", murmelte Jersey schwer beruhigt.
Zwar freute er sich nich tunbedingt auf das Gespräch mit Gabe, aber wenigstens konnte er vorher ausschlafen, Aspirin nehmen und drei Kannen Kaffee trinken.
Mindestens!
Vielleicht starb er ja dann an Koffeinüberschuss?
Er sollte sich keine falschen Hoffnungen machen...
Außerdem konnte er sich nicht erinnern, ob er Geld dabei hatte...
"Ich brauch doch noch Kekse...", murmelte er noch schlaftrunken, bevor er sich ins Land der Wattewolkenträume verabschiedete.

"Ich hab immer ein paar Notfallkekse da...", flüsterte Chris müde lächelnd und streichelte sanft Jerseys Hand, die unter seiner lag.
Leise seufzend lauschte er Jerseys tiefem gleichmäßigen Atem, bis auch er eingeschlafen war.
Tatsächlich schliefen sie am nächsten Morgen ziemlich lange.
Erst gegen Nachmittag wachte Chris auf und stand leise auf, um Jersey nicht zu wecken.
Mit schnellen Handgriffen richtete er ein Katerfrühstück für den Kleinen, und legte die Notfallkekse heraus.
Dann weckte er Jersey sanft.

Jersey grummelte, drehte sich um und zog sich die Decke über den Kopf.
Er wollte nicht aufstehen.
Ihm war schlecht, er hatte höllische Kopfschmerzen und schlafen war viel toller als aufstehen.

Mit viel Nachdruck und Nachsicht bewegte Chris den Kleinen dazu zu frühstücken und sich langsam aber sicher fertigzumachen.
Einige Zeit später waren sie dann sogar beide soweit und Chris packte Jersey und Notfallkekse ein.
Dank Jerseys Beschreibung kamen sie schnell an, und in diesem Augenblick erübrigte sich für Chris auch die Frage, wer sich denn eigentlich um Jerseys Freund kümmerte.
Scheinbar war er hier wenigstens gut aufgehoben...
Er wusste garnicht wie das mit Jersey Eltern war...
Sanft redete er Jersey noch etwas Mut zu, wünschte ihm viel Glück und versprach, noch ein paar Minuten zu warten, falls das ganze schief ging.
Dann schob er ihn aus dem Auto.

Jersey ließ sich brummend und lamentierend aus dem Auto schieben und stand tatsächlich kurz darauf vor der Haustür.
Er konnte sich sogar überwinden zu klingeln, doch keinre öffnete.
Jersey klingelte nochmals und als wieder niemand öffnete, beeilte er sich zu Chris zurückzulaufen und wieder einzusteigen.
"Er is nicht da, ich muss wann anders mit ihm reden!", erklärte er und schnallte sich an.

Mit hochgezogener Augenbraue sah Chris zu, wie Jersey sich wieder anschnallte.
"Wo könnte er noch sein?", fragte er trocken und startete den Motor.

"Keine Ahnung, wirklich gar keine, ich mus heim und morgen nochmal her kommen", antwortete Jersey schnell und konnte es gar nicht erwarten aus der Situation zu entkommen.

"Jersey...", begann Chris geduldig.
"Stell dir vor ihm passiert was. Und du hast es nicht geschafft dich vorher mit ihm auszusprechen. Also... wo wohnt dieser Lynn? Hat dein Freund ein Handy?"

"Ich klingel nich bei Lynn!!!", stellte Jersey ein für alle mal und unmissverschändlich klar.
"Dann hock ich mich lieber vor diese Scheißtür und wart bis er heim kommt!"
Mit diesen Worten schnallte sich Jersey wieder ab, stieg aus und knallte die Autotür hinter sich zu.
Er stapfte schlecht gelaunt zur Haustür zurück und setzte sich auf die Eingangstreppe.

Seufzend sah Chris Jersey nach, bis dieser in der Tür verschwunden war.
Dann fuhr er los, besorgte zwei Becher Kaffee und ein paar Brownies und suchte vor dem Heim einen Parkplatz.
Jersey zu finden war dann schon eher ein Problem, aber schließlich sah er ihn neben einer Tür sitzen.
Leise setzte er sich daneben.
"Hier, möchtest du?"

"Danke", murmelte Jersey, nahm den Kaffee und schnupperte daran.
Er wartete schon eine ganze Weile, aber Gabriel war noch nicht aufgetaucht.
Leise seufzend lehnte er sich gegen Chris.
Ihm war noch immer nicht gut.
"Hoffentlich bleibt er nicht über Nacht bei Lynn...", murmelte er und nahm einen Schluck heißen Kaffee.

"Hmh... vielleicht solltest du ihn doch mal anrufen... Hättet ihr denn eigentlich schon Schulschluss?", fragte Chris.
Die Vorstellung hier noch zwei Tage zu sitzen war nicht besonders attraktiv.
Nachdenklich biss er in einen Brownie.
"Glaubst du er hat sich ohne dich in die Schule getraut? Hm... andererseits war er das ja vorher auch immer, oder...?"